Herr Degen­hart, vor genau zehn Jahren sah Ihr Verein, der FC Mem­mingen, im Auf­stiegs­spiel zur Regio­nal­liga gegen die Kickers Offen­bach schon wie der Sieger aus. Doch dann fiel das Licht aus, das Spiel wurde abge­bro­chen und annul­liert. Das Wie­der­ho­lungs­spiel verlor der FC mit 0:2. Haben Sie jemals zuvor oder danach eine solch schmerz­hafte Erfah­rung mit dem Fuß­ball­sport gemacht?

Nein. So was ist mir bis auf dieses eine Mal nie pas­siert. Dass das Licht aus­geht kann pas­sieren. Aber dass es eine drei­viertel Stunde später in einer hoch­in­dus­tria­li­sierten Stadt wie Mann­heim immer noch nichts funk­tio­niert und die Partie nicht fort­ge­setzt werden kann – das ist mir bis heute voll­kommen unver­ständ­lich.

Hatten Sie vor dem Spiel schon das Gefühl, dass hier etwas Ver­rücktes pas­sieren könnte?

Eigent­lich nicht. Der FC Mem­mingen hatte sehr viel Erfah­rung durch die Rele­ga­ti­ons­spiele in der Bay­ern­liga. Bis auf eine Partie haben wir alle gewonnen. Dem­entspre­chend zuver­sicht­lich waren wir vor dem Anpfiff dieses Spiels gegen die Kickers.

War der FC Mem­mingen sogar Favorit?

Nein, in der Favo­ri­ten­rolle waren wir nicht. Wir wussten aber, dass sich unsere Mann­schaft damals in einer her­vor­ra­genden Form befand.

Der dama­lige Kickers-Manager Klaus Gerster räumt ein, dass es aus wirt­schaft­li­cher Sicht für seinen Club um alles ging. Ein psy­cho­lo­gi­scher Vor­teil für Sie?

Genau so war das. Die Kickers standen mords­mäßig unter Druck und mussten auf­steigen. Diese Bürde hatten wir nicht zu tragen und konnten des­wegen Offen­bach in der ersten Halb­zeit regel­recht an die Wand spielten.

10.000 Offen­bach-Fans waren nach Mann­heim gereist. Hat diese Kulisse Ihnen denn kei­nerlei Respekt ein­ge­flößt?

Na ja, Mem­mingen hat damals oft gegen 1860 Mün­chen gespielt, wo ähn­lich viele Zuschauer anwe­send waren. Inso­fern hat uns das nicht umge­hauen. Dass hin­gegen Offen­bach durch diese Menge an Fans offi­ziell als Favorit galt, war mir schon bewusst.

In der 78. Spiel­mi­nute fiel den­noch das scheinbar ent­schei­dende 3:2 für Mem­mingen.

Wir hatten ja auch den bes­seren Fuß­ball gespielt! Die erste Halb­zeit gehörte klar uns, im zweiten Durch­gang kamen die Offen­ba­cher ein wenig besser aus der Kabine. Aber letzt­lich führten wir durch ein unglaub­li­ches Tor von Markus Kramer, der den Ball genau in den Winkel knallte. Die Offen­ba­cher waren dadurch sicht­lich geschockt.

Sie waren also sie­ges­si­cher, zumal nicht mehr lang zu spielen war.

Ich hatte im Fuß­ball bereits viel erlebt und war dadurch auf der Hut. Aber wenige Minuten vor dem ver­meint­li­chen Abpfiff war ich fel­sen­fest davon über­zeugt, dass wir durch sind. Bestärkt wurde ich durch den Anblick, den die Kickers boten: Die haben selbst nicht mehr auf einen Aus­gleich gehofft.

Und dann ging das Licht aus.

Ich saß oben auf der Tri­büne, als der Schieds­richter gerade zwei Minuten Nach­spiel­zeit ver­kün­dete. Eine halbe Minute später saßen wir im Dun­keln. Es herrschte eine all­ge­meine Ver­wun­de­rung im Rund. Der Sta­di­on­spre­cher beru­higte immer mal wieder das Publikum und kün­digte eine rasche Wie­der­auf­nahme des Spiels an. Es herrschte jedoch zwi­schen­zeit­lich das pure Chaos, ledig­lich eine Lampe über dem Haupt­ein­gang spen­dete noch Licht. Die Polizei bil­dete einen schüt­zenden Kreis um die Mann­schaften.

Warum war das nötig?

Es war eine beängs­ti­gende Situa­tion. Die Offen­ba­cher Fans führten sich brutal auf, indem auf den Mem­minger Block zutram­pelten. Gemeine Sprech­chöre taten ihr Übriges. Ins­ge­samt würde ich die Stim­mung als feind­selig beschreiben.

Was taten Sie in diesem Moment?

Ich wollte in die Kata­komben gehen und schauen, was da los ist – und warum die Unter­bre­chung so lange dauert. Ich wurde jedoch von meinen Beglei­tern zurück­ge­halten, die meinten, dass mir in dieser auf­ge­heizten Stim­mung und in der voll­kom­menen Dun­kel­heit wohl­mög­lich etwas zustoßen könnte.

Bereuen Sie, dass Sie auf Ihre Begleiter gehört haben?

In der Tat. Leider ist der dama­lige Spiel­be­ob­achter des Süd­deut­schen Fuß­ball­ver­bandes, Hans Scheuer, mit dem Schieds­richter in der Kabine ver­schwunden und hat ihm die Idee eines Abbruchs unter­breitet. Ich hatte ihm jedoch ver­traut, da er immer wieder betont hatte, dass das Licht gleich wieder angehe.

Was aber nicht geschah.

Nein. Das Licht ging nicht mehr an, und die Partie wurde tat­säch­lich abge­bro­chen. Später wurde der Schieds­richter Zell gefragt, ob er, wenn das Licht wieder ange­gangen wäre, die Partie auch ange­pfiffen hätte. Er bejahte dies. Dumm war nur, dass Ober­schieds­richter Scheuer im Sta­dion war. Der hatte wohl Infor­ma­tionen, dass die Offen­ba­cher-Fans im Falle des Wie­der­an­pfiffs alles kaputt schlagen würden.

Sie wit­tern eine Ver­schwö­rung?

Nein. Es lief halt für uns alles ein biss­chen blöd. Wir glauben nicht, dass der Strom damals absicht­lich gekappt wurde. Es hat uns nur, wie schon gesagt, unge­mein auf­ge­regt, dass in einer hoch­tech­ni­sierten Stadt wie Mann­heim ein Strom­aus­fall nach 45 Minuten nicht behoben werden kann. Dies teilten wir dem Ober­bür­ger­meister damals auch schrift­lich mit. Hinzu kommt der Umstand, dass der Sta­di­on­wart nicht, wie eigent­lich in sol­chen Fällen vor­ge­sehen, die Stadt­werke infor­mierte. Er hat ein­fach nichts gemacht und gemüt­lich in seinem Kabuff gesessen. Den Licht­aus­fall hat ein Bus­fahrer gemeldet, der gerade am Sta­dion vor­bei­fuhr. Es war eine dubiose Sache, die uns damals natür­lich ganz schön gestunken hat. Aber das ist vorbei. Nach den Vor­schriften konnte der Fuß­ball­ver­band in der Folge nicht anders ent­scheiden, als das Spiel neu anzu­setzen.

Man merkt Ihnen an, dass die Erin­ne­rung an dieses Spiel Sie auch heute noch auf­wühlt.

Klar. Aber ich stehe heute wie damals zu meinen Worten: Viel­leicht hat der liebe Gott auch gewollt, dass wir nicht auf­steigen – und uns damit vor Schlim­merem bewahrt. Denn diese Plei­ten­serie von bay­ri­schen Ver­einen, die nach uns in die Regio­nal­liga auf­ge­stiegen sind, ist unheim­lich. Kleine bay­ri­sche Ver­eine scheinen für solche Klassen nicht geschaffen zu sein. Die meisten mussten Kon­kurs anmelden.

Hand aufs Herz, Herr Degen­hart: War es viel­leicht doch nicht der liebe Gott, son­dern der als Schwarzer Abt“ bekannte Klaus Gerster, der das Licht aus­knipste?

Nein. Solche Gedanken hatte ich nie und würde auch so etwas dem Klaus Gerster nie im Leben zutrauen. Da kann man Offen­bach end­lich zum Auf­stieg aus der Steck­dose gra­tu­lieren“, sagte ich damals nach dem Pro­zess, bei dem das Wie­der­ho­lungs­spiel ange­setzt wurde. Dar­aufhin sagte Gerster: End­lich eine faire Geste vom FC Mem­mingen!“ Und damit war die Geschichte beendet.

War der FC Mem­mingen vor diesem Wie­der­ho­lungs­spiel im psy­cho­lo­gi­schen Nach­teil?

Natür­lich waren unsere Spieler nach dem Abbruch riesig ent­täuscht gewesen, und Kabi­nett­stück­chen sol­cher Güte wie im ersten Spiel gelingen nicht oft. Offen­bach war also im Wie­der­ho­lungs­spiel der klare Favorit. Wir hätten aber genauso gut aus der Underdog-Rolle heraus agieren und gewinnen können.

Das Spiel ging jedoch mit 0:2 ver­loren. Haben Sie damals den Glauben in die Gerech­tig­keit ver­loren?

Ach wissen Sie, ich hab im Leben schon so viele Sachen erlebt, die aus einem Zufall heraus ent­stehen, da bin ich nicht so emp­find­lich. Es hätte mich mehr getroffen, wenn wir durch diese Ent­schei­dung abge­stiegen wären.

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Hier erzählt der dama­lige Kickers-Manager Klaus Gerster aus seiner Per­spek­tive von dem Spiel www​.11freunde​.de/​b​a​l​l​k​u​l​t​u​r​/​1​02130 .

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